Textatelier
BLOG vom: 19.01.2024

In aller Freundschaft: Stammbuchblätter und Poesiealben aus über 200 Jahren

Autor: Günther Lang, Hobbyarchäologe, Badenweiler

 

Nur noch einen Kuss und eine Thräne
zu der Freundschaft letztem Denkmahl Dir.
Lang und traurig schließt sich mir die Scene
O Du Beste! - ach was warst Du mir!


Basel 10. May 1849
Zum Andenken von Deiner Dich ewig liebenden Freundin
Stammbuchblatt der Dorette Schlosser. Mit roter Seide eine braune Haarsträhne in Form eines S angeheftet.

*

Das waren Zeiten!
Schaut doch her, ach wie so tränenreich und traurig schön ist das alles!
Ja, im wahren Sinne - dekoratives - Leiden stellt sich hier larmoyant zur Schau.
Aber dieser „seelenvolle“ Text illustriert vorzüglich die Absicht der meistens jugendlichen Schreiber und Schreiberinnen von Stammbuchblättern und den allgemein mehr oder weniger verborgenen Sinn der Poesiealben-Lyrik:
Würdigung der persönlichen Beziehung zweier Menschen,
das Errichten eines „Denkmals ewigen Gedenkens“,
denn man will ja positiv in Erinnerung bleiben und nicht vergessen werden.
Aber das, was hier zu sehen ist, ist eigentlich nur das Ende einer Entwicklung, die schon im 16. Jahrhundert in studentischen Kreisen ihren Anfang nahm.

 


Ausstellung Poesiealben
 

Ursprünglich schenkte man sich zur Erinnerung an die gemeinsame
Studienzeit ein sogenanntes Stammbuchblatt.
Dieses war oft nur ein kleinformatiges Blatt im Querformat mit dem Namen des Gebers und seinem Familienwappen geziert - daher sein Name.
Später kamen auch Einlegeblätter auf, die mit Szenen aus dem studentischen Alltag, aus dem Leben und Treiben in den Gastwirtschaften oder bei gemeinsamen Ausflügen in die Umgebung bemalt waren. Auch Kupferstiche mit Ansicht des Herkunftsortes und einer Widmung waren sehr beliebt.
All diese Blätter der akademischen Jugend sind entweder zu sogenannten Studenten-Stammbüchern gebunden oder in Kassetten aus Pappe eingelegt.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Eintragungen in die Stammbücher immer idealistischer und sentimentaler. Denn ein starker Impuls kam aus der Literatur und prägte die Zeit:
Goethes Bestseller von Werthers Leiden!
Es entwickelte sich der neue Bildtypus:
„Altar der Freundschaft“, geschmückt mit Rosenbüschen, Anker und brennenden Herzen.

 


Erinnerungsbilder auf Seide
 

Aber Anfang des 19. Jahrhunderts, wurde der Zeitgeist auch durch die idealisierte Erinnerung an das Mittelalter und an das Rittertum bestimmt. Es war das Zeitalter der Romantik, wegen der politischen Verhältnisse im Lande, auch oft das der Flucht ins Private, der Beginn des Biedermeier.

In der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert setzte sich das schon industriell gefertigte Album mit eingeklebten Oblaten durch. Alles wurde so richtig bunt, die Texte aber blieben im Wesentlichen gleich. Denn „In aller Freundschaft“ ging es noch immer um:

Lebensfreude und schmerzlichen Abschied, um Schwüre ewigen Gedenkens, moralisierende Ermahnung und Ratschläge zur weiteren Lebensbewältigung.

„Was kann dem kurzen Leben,
Mehr Werth und Würde geben,
Als sein und andrer Herz erfreun!“

*

 

Infos zur Ausstellung in der Mediathek, Müllheim: Die Ausstellung findet vom 10.1. bis 06.06.2024 statt.
https://bibliothek.komm.one/muellheim/

 

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